Kontraste by Jonas
>>Kontraste<< - ein Projekt in Zusammenarbeit mit Jonas Schäfer und House of Renegades. Wir setzen uns mit den Gegensätzen und dem Spannungsfeld auseinander, das zwischen den hedonistischen Facetten des Nacht- und Partylebens und einer brutalen Lebensrealität besteht. Durch die Fotografie und Berichte von Jonas Schäfer erleben wir die Tragödien und Rettungsmissionen zwischen Lampedusa und Tunesien. Wir tauchen aber auch ein in die Ästhetik und Schönheit des Meeres und der Insel. Zwischen Freude und Trauer liegt oft nur ein Augenblick.
Das Projekt besteht aus einer Radioshow auf Freirad, einer Spendenaktion im Club Project in Innsbruck und diesem fotografischen Bericht.
Cimiterio Vecchio di Lampedusa
Der »Cimitero Vecchio di Lampedusa« - einziger Friedhof auf der kleinen Insel. Im
Hintergrund in die Jahre gekommene Motoryachten einer Schiffswerft.
Gedenken an verstorbene Flüchtlinge
In den kleinen Gassen zwischen den Familiengräbern befinden sich vereinzelt
Gedenkstätten für ertrunkene Flüchtlinge. Bereits hier wird das Ausmaß der Tragödie deutlich: Allein am 3. Oktober 2013 ertranken dicht vor der Küste Lampedusas knapp 400 Menschen aus Eritrea*. Seitdem verloren über 30.000 Flüchtlinge ihr Leben im Mittelmeer auf der Überfahrt nach Europa**.
Konfrontation mit Gegensätzen
Blick auf »Hot Spot Lampedusa - Croce Rossa Italiana« - das Auffanglager für Flüchtlinge auf der Insel. Aus der Seenot gerettete Menschen werden hier vorübergehend untergebracht. Ausgelegt für rund 400 Flüchtlinge befinden sich hier an manchen Tagen bis zu 5000 Menschen. Als wir dort sind ist es recht ruhig... noch.
Die zivile Flotte
Wir ankern mit der »Dakini« (2. v.l.), dem Segelschiff des Skippers Sampo, in einer Bucht vor der Hafeneinfahrt. Neben uns zwei weitere NGO-Schiffe: die »TROTAMAR III« (links) und die »Nadir«, dazwischen der französische Weltumsegler Léon (2. v.r.)
Der Strandblick
An Deck der »Dakini« wirf man einen Blick auf das Strandspektakel auf Lampedusa. Touristenziel vor allem für Festlanditaliener*innen, die hier ihren Sommerurlaub verbringen.
Der Meerblick
Dreht man sich um 180°, sieht man ein Schiff der »Guardia di Finanza« mit geretteten Flüchtlingen einlaufen. Beide Szenen spielen sich zeitgleich nebeneinander ab.
Die Segel hissen
Der erste Abend auf See. Wir segeln von Lampedusa aus Richtung Süd-Westen. Dort befindet sich im Mittelmeer östlich von der tunesischen Stadt Sfax die sogenannte »Banana-Route«, über die sich viele Flüchtlingsboote aus Libyen und Tunesien auf den Weg nach Europa machen.
Zwei Lichter am Horizont
Zweite Nacht, ein Uhr morgens. Ich werde von unserem Skipper geweckt. Ganz in unserer Nähe soll sich ein in Seenot geratenes Flüchtlingsboot befinden. Die Koordinaten haben wir von der NGO »Watch The Med Alarmphone« erhalten. Finstere Nacht, raue See, trügerisch romantischer Mondschein. Unsere Position deckt sich exakt mit den durchgegebenen Koordinaten. Kein Anzeichen weit und breit. Wir entscheiden uns mit laufendem Motor der Strömung und dem Wind zu folgen... nach einer halben Stunde sichten wir ein schwaches Licht in noch weiter Ferne.
Mayday Relay
Wir nähern uns dem flackernden Licht, zum Vorschein kommt ein mit etwa 50 Menschen völlig überladenes Boot mit starker Schlagseite – hinten am tief eintauchenden Heck umspült das Wasser den Außenborder, der nicht läuft. Der Bug ragt schräg in den Himmel. Das Boot scheint jeden Moment kentern und sinken zu können. Hektik unter den Menschen, wir versuchen die Situation zu beruhigen und setzen parallel einen »Mayday Relay« ab. Das Rettungsschiff »Nadir« ist zum Glück nur knapp 10 Seemeilen entfernt. Wir halten Abstand, um die Situation nicht eskalieren zu lassen. Wir umkreisen das Boot, um Sicherheit zu vermitteln und Hoffnung zu machen. Währenddessen kommunizieren wir mit den Menschen und bereiten uns im Hintergrund auf das Schlimmste vor.
Unterstützung am Horizont
Nach 90 Minuten erscheint am Horizont die »Nadir«. Die Situation ist nach wie vor angespannt. Über Funk verständigen wir uns und geben die relevanten Informationen durch. Bis zur Ankunft der »Nadir« wird der Ablauf des Rettungseinsatzes besprochen.
Die vermeintliche Rettung
Im Gegenlicht des Suchscheinwerfers der »Nadir« blicken wir auf das Flüchtlingsboot. Wir lassen unser kleines Beiboot bei starkem Wellengang zu Wasser und positionieren unsere Rettungsinsel. In einem herausfordernden Prozess werden zunächst Schwimmwesten verteilt, bis anschließend der Reihe nach die Menschen an Bord der »Nadir« genommen werden können. Über uns der unbarmherzig romantische Mond, der sich langsam hinabsenkt zum Horizont.
Ort des Grauens
Zurück von unserem Beiboot werfe ich einen Blick auf die geretteten Flüchtlinge an Deck der »Nadir«. Zu diesem Zeitpunkt weiß ich es schon: Die Freude über die geretteten Menschenleben ist nicht mehr spürbar. Es gibt Tote auf dem Boot. Während der Rettungsaktion auf unserem Beiboot habe ich es von der Nadir-Crew erfahren. Unter Deck des Flüchtlingsbootes befinden sich weitere Menschen, mit keinem Wort wurde es zuvor von den Flüchtlingen erwähnt. Zwei Menschen konnten wiederbelebt werden, zehn sind in den Benzindämpfen erstickt und / oder im eintretenden Bilgewasser ertrunken. Auf einmal befinde ich mich an einem Ort des Grauens.
Unter Deck
Die Crew der »Nadir« schlägt mit einer Axt das Holzdeck des Flüchtlingsboots auf, um die beiden bewusstlosen Menschen zu bergen und sie anschließend an Deck zu reanimieren. Kurz danach umarmen sich der Kapitän der »Nadir« und ein Flüchtling auf dem Vordeck. Ein wenig Menschlichkeit kehrt zurück an diesen Ort der kühlen Routine.
Ein verloren gegangener Schuh treibt über das Wasser.
Kühle Wärme
Nach knapp sechs Stunden spüre ich die Wärme der Sonne auf meiner Haut. Der Horizont erstrahlt golden, in mir fühlt sich alles kalt an. Zwei Rettungswesten treiben vorbei.
Eiseskälte
Die »Nadir« mit den geretteten Flüchtlingen an Deck im Gegenlicht. Der Wind flaut ab, die Wellen gehen zurück, es wird wärmer. Die Stimmung bleibt eiskalt.
Kommunikationswege
Über Funk kommunizieren wir mit der Crew der »Nadir«. Über Blickkontakte mit den geretteten Flüchtlingen. Die italienische Küstenwache ist auf dem Weg zu uns und will die 51 Menschen an Bord nach Lampedusa bringen.
Abschied nehmen
Ein junger Mann schaut erstarrt über einen langen Zeitraum durch die Luke hindurch in das Flüchtlingsboot. Unterschiedliche Perspektiven. Unterschiedlicher Blinkwinkel.
Unterschiedliche Betroffenheiten.
Zwischenstationen
Die Crew der »Nadir« und die italienische Küstenwache bereiten die Übergabe der geretteten Flüchtlinge vor.
Blaue Kontraste
Das Leichenboot treibt auf offener See bevor es anschließend von der »Nadir« nach Lampedusa geschleppt wird. Dort wird die Crew von wenigen Einwohner*innen mit Kerzen und Blumen empfangen.
Emotionale Gegensätze
Nachdem die italienische Küstenwache mit den Geretteten und die »Nadir« mit dem Flüchtlingsboot auf dem Weg nach Lampedusa sind, kehrt eine sich trügerisch anfühlende Ruhe ein. Delphine spielen wild miteinander und umkreisen unser Schiff. Positives zuzulassen fällt schwer. Romantik und Grausamkeit liegen dicht beieinander.
Ungewissheiten
Am Horizont entdecken wir mit dem Fernglas ein treibendes Schlauchboot. Noch in großer Distanz entfernt wissen wir nicht, ob sich Menschen an Bord oder im Wasser befinden. Je näher wir kommen desto sicherer sind wir uns: die Menschen wurden gerettet. Höchstwahrscheinlich.
Flaute
Bei weitestgehender Flaute fahren wir unter Motor langsam Richtung Nord-Osten. In ein paar Tagen wollen wir Lampedusa erreichen, um vor einem aufziehendem Sturm Schutz zu suchen.
Geisterboote
Schon bald sichten wir ein zweites, treibendes Geisterboot am Horizont. Wieder die selben Fragen. Sind Menschen an Bord? Treiben welche im Wasser? Wurden sie gerettet? Beim Annähern eine zaghafte Erleichterung.
Wegbegleiter
Kaum setzen wir unsere Fahrt fort, umkreisen zahlreiche Delphine erneut unser Schiff. Ich stehe im Bugkorb und werde von den Delphinen mit salziger Meeresluft eingestäubt.
Wahrnehmung und Emotion fühlen sich surreal an.
Gezeichnet
Am nächsten Tag stoßen wir erneut auf ein verlassenes Flüchtlingsboot. Dieses mal haben wir recht früh die Gewissheit, dass die Menschen an Bord gerettet wurden. Der Schriftzug »SAR« steht für Search and Rescue - ein Hinweis, der von einer NGO oder Küstenwache aufgetragen wurde.
Hell und dunkel
Am Horizont verdichten sich die dunklen Wolken, auf der Meeresoberfläche reflektiert sich glitzernd das Sonnenlicht.
Zurück am Badestrand
Wir ankern erneut in der Bucht neben der Hafeneinfahrt vor Lampedusa. Um 7 Uhr morgens geht es hier noch recht ruhig zu.
180°
Dreht man sich wieder um 180°, blickt man auf den Fähranleger des Hafens. Hier stehen nun die von der Polizei bewachten Flüchtlinge in einer langen Schlange und warten auf ihre Weiterfahrt nach Sizilien oder das italienische Festland.
Zwei Ebenen
Daneben mit Blick auf das offene Meer Badespaß für groß und klein. Dahinter zwei Schiffe der Küstenwache und der Guardia di Finanza.
Flucht und Urlaub
Während die Fähre anlegt und unter anderem die wartenden Flüchtlinge Richtung Norden bringt, fährt erneut ein Schiff der Küstenwache mit geretteten Menschen ein.
Der Hafenalltag
Der Blick von dem Ort Lampedusa auf die Bucht. Zwischen Hafenmole und Inselzunge ankern wir. Davor werden die Geretteten medizinisch erstversorgt und für die Weiterfahrt in das Auffanglager vorbereitet. Rechts im Bild: Das Leichenboot von unserem Einsatz neben weiteren Flüchtlingsbooten.
Als wäre die Zeit stehengeblieben
Ein letzter Spaziergang über die kleine Insel. Der verlassene Dorfplatz in der Mittagshitze. Am ersten Tag meiner Ankunft auf Lampedusa lief ich hier vorbei. Schicke Italiener saßen auf den Stühlen und die Band spielte "Hey Jude" von den Beatles. Tage später nach der Rückkehr von der Rettungsmission spielt das selbe Lied. Als wäre die Zeit hier stehengeblieben. Zwei gleiche Szenen und so viel liegt dazwischen.